Ich bin der Grinch.
Lange Zeit habe ich von mir behauptet, dass ich Weihnachten hasse. Der Trubel auf Christkindlmärkten, volle Geschäfte, langweilige Traditionen und ewig dasselbe Essen, das sowieso niemanden schmeckt oder viel zu viel ist.
Es hat ein Weilchen gedauert, bis ich gemerkt habe, dass das eigentlich gar nicht MEINE Meinung ist. In Wahrheit ist meine Mutter der Grinch. Sie mag Weihnachten nicht. Ihr ist es immer viel zu viel Stress, sie fühlt sich alleine gelassen mit all den Aufgaben. Papa schläft viel. Und beim Schenken geht es ihr nicht darum, jemanden eine Freude zu bereiten, sondern eine Checkliste abzuhaken:
Geschenk Sohn – check.
Geschenk Mann – check.
Sich selbst was besorgen – check.
Keine Spur von Harmonie und Weihnachtszauber. Wieso sehen im Fernsehen immer alle so glücklich aus? Wieso zeigen die nie, dass ein Elternteil mal krank sein kann? Oder komisch. Bei einem Drama im Fernsehen geht es meist um Krebs. Krebs bedeutet Tod. Und am Ende des Films überleben alle.
Bei psychischen Erkrankungen läuft auch nicht alles rund. Und wir leben weiter.
Meine Omi war meine Heldin. Solange sie lebte, hatte sie immer ihre eigene Tradition: War der Christbaum geschmückt und es Zeit für die Bescherung, rief sie an und läutete ein Glöckchen. Sie war das Christkind. Als ich größer wurde, fand ich das dumm. Mittlerweile vermisse ich ihren Anruf, denn sie sorgte zumindest für ein bisschen Zauber, den ich mir gewünscht habe. Diese konstante „Normalität“ - die mochte ich. Mit einem kindlichen Hintergedanken. Kind sein dürfen – egal wie alt man ist.
Aber ohne sie war Weihnachten noch schlimmer – noch kälter, ihre Wärme fehlte. Weihnachten war eine Checkliste meiner kontrollsüchtigen Mama. Und als mein Papa krank wurde, war sowieso alles ganz anders. Man wollte noch weniger unter Menschen, weil Papa eben „komisch“ wurde. Familientreffen wurden verkürzt. Sogar der Baum wurde immer kleiner, bis es letztlich gar keinen mehr gab.
Meine einzige Reaktion, damit umgehen zu können, war: „Ach wer braucht schon einen blöden Baum…“
Aber es war nicht nur der Baum. Der Zauber verschwand ganz.
Und als ich mit 18 auszog, hatte ich in den ersten Jahren auch gar keinen eigenen in meiner kleinen Wohnung. Wozu auch?
Mit den Jahren verstand ich dann aber, dass ich nun erwachsen bin. Und dass ich nun selbst entscheiden darf, wie ich Weihnachten feiern möchte. Ich habe noch keine „eigene Familie“, keine Kinder. Aber wieso sollte ich nicht für MICH ein Bäumchen besorgen? So wie ich mir das wünsche. Anfangs war es nur ein Plastikbaum. Doch irgendwann war es ein echter. Und das Gefühl war unbeschreiblich: der Geruch nach Tannennadeln, das erste Mal schmücken, überhaupt Kugeln kaufen.
Nun kaufte ich immer welche dazu – ganz so wie meine Omi, die viele verschiedene hatte. Jede einzelne hatte ihre Geschichte.
Ich fokussierte mich auf die schönen Dinge an Weihnachten, nicht die belastenden: „Wie wird Papa drauf sein?“ „Wie wird Mama drauf sein, weil Papa schlecht drauf ist?“ Endlosschleife durchbrochen!
Langsam kehrte meine Vorfreude auf Weihnachten zurück. Ich schmücke wie ich will, ich feiere wie ich will, denke an meine Omi und ihren Zauber und vor allem: Ich umgebe mich mit lieben Menschen.
Mittlerweile ist Weihnachten bei meinen Eltern nur noch ein kurzes Mittagessen. Ich besuche sie, wir essen, machen Bescherung und gehen zufrieden auseinander. Es ist weniger Stress für sie, aber auch für mich.
Es gab auch Jahre, in denen ich gar nicht bei ihnen war. Und es war auch okay. Wer entscheidet schon, wie Weihnachten abzulaufen hat? Entscheidend ist, dass man glücklich ist. Nicht nur an einem Tag im Jahr. Ein bisschen Zauber kann nicht schaden. Nie.